Cappelle la Grande nach dem Ende einer Ära
26.02.2017 - 13:04

Über mehr als zwei Jahrzehnte galt das Open von Cappelle la Grande als das größte oder zweitgrößte offene Schachturnier der Welt. Jahr für Jahr trafen mehr als 500 Spieler aus ungefähr 50 Ländern im Palais des Arts et des Loisirs zusammen zum „Open de la Paix“ (Open des Friedens), wie es der Bürgermeister Roger Gouvard apostrophierte (Rekorde: 702 Teilnehmer 2001, 62 Nationen 2008, 89 Großmeister 2009). Ca. 150 eingeladene Spieler wurden jedes Jahr von den Flughäfen abgeholt, in Hotels untergebracht, vom Hotel zum Spielsaal und zurück gefahren, mittags und abends verpflegt. Außerdem erhielten sie ein leistungsunabhängiges „Taschengeld“, das um so üppiger ausgefallen sein dürfte, je näher der Spieler der Weltspitze war. Die eingeladenen Titelträger lockten weitere starke Spieler an, die auf der Jagd nach Normen waren oder einfach nur die Gelegenheit nutzen wollten, gegen sie zu spielen. Diese starken Spieler lockten wiederum mittlere und schwächere Spieler an, so daß alle Spielstärken vom Anfänger bis zum Großmeister vertreten waren. Die Durchführung dieses Turniers erforderte großen organisatorischen Aufwand (ehrenamtlich betrieben vom Turnierdirektor Michel Gouvard und seinem Team), zahlreiche weitere ehrenamtliche Helfer im Turnier- und Speisesaal sowie hinter den Kulissen, und vor allem Geld. Das Turnierbudget betrug in manchen Jahren mehr als 200.000€ (laut Vereinspräsident Bruno Marchyllie in Le Phare Dunkerquois), aufgebracht hauptsächlich aus öffentlichen regionalen und kommunalen Kassen (Région, Département, Communauté urbaine de Dunkerque und Stadt Cappelle la Grande), neben weiteren Sponsoren und den Startgeldern der nicht eingeladenen Spieler. Doch gute Zeiten dauern nicht ewig. Die öffentlichen Haushalte müssen sparen. Trotz des Todes von Bürgermeister Roger Gouvard 2013 und des Ausscheidens von Organisationsleiter Michael Gouvard 2015 wurde die Tradition bis 2016 fortgeführt. Doch in diesem Jahr bei der 33. Auflage war die Zäsur unausweichlich. Es wurden keine Spieler mehr eingeladen; lediglich das Startgeld wurde Titelträgern erlassen. Ohne ihre Konditionen kehrten die Profis dem Turnier den Rücken, und auch die meisten starken Spieler verloren das Interesse. Zwar nahmen immer noch 216 Spieler teil, aber nur 29 mit Elo über 2000. Es waren nur 35 ausländische Spieler aus nur fünf Nationen vertreten: Belgien (23 Spieler), die Niederlande (5), Deutschland (4), England (2), Spanien (1). Auch die gemeinsamen Mittags- und Abendmahlzeiten (mehrere Gänge plus Wein zum Preis von 12€ für nicht eingeladene Spieler) wurden gestrichen. Was blieb, war ein immer noch perfekt organisiertes Turnier im weiterhin fantastischen Palais des Art (diesmal sogar mit mehr Platz für jedes Brett als sonst). Das Teilnehmerfeld war deutlich schwächer als in vergleichbaren Turnieren in Fourmies oder Dieppe, auch wenn der neue Bürgermeister Léon Devloies mantrahaft wiederholte: „Es ist immer noch ein internationales Turnier!“ Kurioserweise wurde dieses reine Amateurturnier, wohl aufgrund des Ausnahmezustands, an allen Tagen von Sicherheitspersonal geschützt, was in den Zeiten mit vielen Profis aus aller Welt nie nötig war. Das dürfte einen beträchtlichen Teil des Budgets von immer noch 30.000€ gekostet haben.

Auf Empfehlung von Jean Lucas spielte ich zusammen mit Andreas Mertens erstmals 1997 in Cappelle, und war seitdem in jedem Jahr dabei. Seit mehr als 10 Jahren besteht die Ferienhaus-WG mit den Düsseldorfer Schachfreunden Manfred, Dirk und Armin. Aus Herzogenrath nahmen Daniel, Frank und Med mindestens einmal teil. In all den Jahren war mein bestes Ergebnis der 177. Platz mit 5/9 (2012); meistens mußte ich mich auch bei guter Leistung mit 4 Punkten begnügen. In diesem Jahr reichte eine mittelmäßige Leistung zum 27. Platz. Zwei Mal spielte ich an einem der ersten zehn Bretter, die im Internet übertragen wurden. Ich weiß nicht, wie viele meiner Fans weltweit die Partien verfolgten, aber sie werden nicht glücklich gewesen sein: Gegen Sherif Medghoul (FRA, 2138 ) kam ich in einem ausgeglichenen Endspiel nach längerer Überlegung zur Überzeugung, einen vergifteten Bauern verdauen zu können. Ein Irrtum. Gegen Roland Albets Armengol (ESP, 2209) bekam ich mit einem Bauernopfer so gute Kompensation, daß mein Gegner sich schon am Rande einer Niederlage wähnte. Das war wohl übertrieben, wie die anschließende Analyse zeigte, aber ein Remis hätte ich sicher halten können, wenn ich es nicht in Zeitnot verdorben hätte. Immerhin konnte ich meine sechs Partien als Elo-Favorit alle mehr oder weniger souverän gewinnen. Für Dirk war der Turnierverlauf quasi identisch: drei teils unnötige Niederlagen gegen Spieler mit höherer Wertung und sechs Siege gegen das Unterhaus. Auch für Armin lief es ähnlich, wobei er in der letzten Runde deutlichen Vorteil hatte und auf 6,5 Punkte hätte kommen können. Er ließ die Chance jedoch aus und verlor sogar noch. Ich profitierte von diesem Lapsus, denn damit gewann ich den 3. Preis in meiner Elo-Kategorie. Manfred wurde leider nach der zweiten Runde durch eine Virus-Erkrankung außer Gefecht gesetzt. Nach seiner Genesung stieß er am vorletzten Tag als Zuschauer wieder zu uns.

Endstand:

1. GM Jean-Marc Degraeve [FRA] 8/9 (+7 =2)
2. GM Alexandre Dgebuadze [BEL] 7 (+6 =2, in der zweiten Runde ausgesetzt)
3.-6. Matheo Zachary, Sherif Medghoul, Benjamin Feryn, John Cappon [alle FRA], alle 7
24. Dirk Angermünde [GER] 6 (+6 -3)
27. Klaus Haverkamp [GER] 6 (+6 -3)
46. Armin Bier [GER] 5,5 (+5 =1 -3)
121. Jean Lucas [FRA] 4,5 (+4 =1 -4)
214. Manfred Freialdenhoven [GER] 1 (+1 -1)

9 Runden beschleunigtes Schweizer Systen, 216 Teilnehmer, 2 GM, 1 FM
Grille américaine


Autor: Klaus K. Haverkamp (vorsitzender@svherzogenrath.de)
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